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Senioren den Führerschein wegnehmen – eine gute Idee?

von Lieselotte Wever
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Senioren den Führerschein wegnehmen – eine gute Idee?

Geisterfahrer, Bremse mit Gaspedal verwechselt, Rückwärts- statt Vorwärtsgang – und am Steuer saß ein Senior. Vorkommnisse wie diese halten die Diskussionen am Laufen: Sollen Senioren ab einem bestimmten Alter ihren Führerschein abgeben oder zumindest in kurzen Intervallen ihre Fahrtüchtigkeit überprüfen lassen? Kann das auf freiwilliger Basis funktionieren oder muss dafür ein Gesetz her?

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Bedeuten Senioren am Steuer ein erhöhtes Unfallrisiko?

Verursachen Senioren wirklich mehr Unfälle im Straßenverkehr als andere Altersgruppen? Statistiken zufolge sind es vielmehr die jungen Autofahrer, die gerade erst ihren Führerschein erhalten haben. Ihnen fehlt Fahrpraxis. Außerdem überschätzen sie sich häufig und fahren zu schnell oder zu dicht auf. Mit zunehmender Erfahrung sinkt die Unfallgefahr. Senioren verhalten sich im Durchschnitt sogar besonnener beziehungsweise vorsichtiger im Straßenverkehr.

Nicht zu leugnen ist allerdings, dass sich bei älteren Menschen allmählich körperliche Einschränkungen bemerkbar machen. Du hast das doch auch schon beobachtet: Sehkraft, Richtungshören und Reaktionsvermögen lassen nach, ebenso die körperliche Beweglichkeit. Das alles geschieht schleichend, von vielen Senioren nicht in der wahren Intensität wahrgenommen oder aber verdrängt. Hinzu kommen nervliche sowie stoffwechselbedingte Unfallrisiken: Durch einen plötzlichen Blutzuckerabfall oder Krampfanfall sind schon schlimme Unfälle passiert. Auch die Gefahr eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls steigt im höheren Alter. Ebenfalls zu bedenken ist, dass im frühen Stadium einer Demenz oder Alzheimer-Erkrankung sich viele Betroffene vorerst weiter hinters Steuer setzen. So kam es bereits vor, dass ältere Autofahrer mit dieser Beeinträchtigung sich eines Tages verfuhren und nicht mehr nach Hause fanden.

Was sagen Statistiken zur Unfallhäufigkeit autofahrender Senioren?

Beim Abschätzen des Unfallrisikos durch Autofahrer im Seniorenalter sind Statistiken richtig zu interpretieren. Als Unfallverursacher werden beispielsweise über 75 Jahre alten Autofahrern die höchsten Prozentwerte aller Altersgruppen zugeschrieben. An den absoluten Unfallzahlen hingegen haben sie nur einen geringen Anteil. Das liegt daran, dass sie erheblich seltener am Straßenverkehr teilnehmen als jüngere Generationen. Senioren stellen also schon aufgrund körperlicher und gelegentlich auch geistiger Einschränkungen ein Unfallrisiko dar.

Familienkonflikte, wenn Opa seinen Führerschein nicht abgeben will

Vielleicht hast Du das selbst schon erlebt: Dein Opa oder Deine Oma sind eindeutig nicht mehr so fit wie früher, möchten sich aber das Autofahren nicht nehmen lassen. Schließlich gibt ihnen ihr Auto ein Stück mobiler Freiheit. Du und andere Familienangehörige aber macht Euch Sorgen um die Sicherheit von Opa oder Oma. Diese gefährden dazu nicht nur sich selbst, sondern auch übrige Verkehrsteilnehmer. Behutsam sucht Ihr das Gespräch. Aber wie Ihr es auch anfangt, die Angesprochenen reagieren fast immer empört oder es kommt sogar zum Streit.

Wenn Senioren die Einsicht zur Fahruntüchtigkeit fehlt

Es ist traurig, dass oft erst etwas passieren muss, bis ein Senior Einsicht zeigt. Manchmal wird die Befürchtung der Angehörigen wahr: Ihr Familienmitglied verursacht einen schweren Unfall. Mit etwas Glück im Unglück tritt ein Zwischenfall ein, der dem Senioren ohne Unfall endlich klar macht, dass seine Zeit als aktiver Autofahrer abgelaufen ist. So entging ein Autofahrer wegen seiner zu langsamen Reaktion um Haaresbreite einem lebensgefährlichen Zusammenstoß. Eine Autofahrerin schaffte es aufgrund einer Bewegungseinschränkung ihrer Beine schließlich nicht mehr, ohne Hilfe aus ihrem Auto auszusteigen. Vermutlich dürfte es bei ihr bereits vorher erhebliche Probleme beim Bedienen von Gas- und Bremspedal gegeben haben, was sie jedoch bagatellisierte.

Wie viel einfacher wäre es doch, auch im Sinne des Familienfriedens, wenn ein Gesetz das Thema „Senioren am Steuer“ beziehungsweise „Führerschein für Senioren“ regeln würde.

Senioren am Steuer: Wie handhaben es andere Länder?

Was für Deutschland wünschenswert wäre, findet in anderen Ländern bereits statt: die Überprüfung der Fahrtüchtigkeit älterer Verkehrsteilnehmer. Hier ein paar Beispiele:

  • Die Schweiz bittet Autofahrer über 70 Jahre, die weiterhin Autofahren möchten, alle zwei Jahre zu einer sogenannten vertrauensärztlichen Kontrolluntersuchung inklusive Tests fürs Hören und Sehen sowie ersten Anzeichen einer Demenz.
  • In Dänemark müssen Autofahrer ohnehin ihren Führerschein verlängern lassen. Dazu müssen sie ab einem Alter von 75 Jahren einen ärztlichen Nachweis über ihre Fahreignung vorlegen. Ab einem Alter von 80 Jahren müssen sie ihren Antrag auf Verlängerung der Fahrerlaubnis jährlich feststellen lassen und beantragen.
  • Großbritannien verpflichtet seine über 70 Jahre alten Autofahrer, bei weiterem Fahrwunsch alle drei Jahre einen Antrag auf Führerscheinverlängerung zu stellen. Hierbei müssen sie sämtliche medizinischen Beeinträchtigungen aufführen, die ihre Fahrtüchtigkeit beeinflussen.
  • In Italien mit einer zeitlichen Begrenzung für alle Autoführerscheine müssen Autofahrer ab einem Alter von 50 Jahren ihre Fahrerlaubnis in Intervallen von fünf Jahren erneuern lassen, ab 70 Jahren alle drei und ab 80 Jahren alle zwei Jahre. Damit verbunden ist stets eine medizinische Untersuchung.
  • In Spanien müssen Autofahrer ab 65 Jahren alle fünf Jahre eine Führerscheinerneuerung beantragen und sich einer medizinischen Überprüfung ihres Fahrvermögens unterziehen.

Deutschland: Freie Fahrt für freie Bürger – Senioren eingeschlossen

In Deutschland schlagen die Wellen hoch, wenn sich mal wieder ein besonders spektakulärer Autounfall ereignet, verursacht von einem autofahrenden Senioren. Ob mit Vollgas in eine Eisdiele oder als beharrlicher Geisterfahrer: Bei solchen Nachrichten werden Forderungen nach einem Überprüfen oder gar Wegnehmen der Führerscheine von Senioren laut.

Befürworter von Kontrollen der Fahrerlaubnisse älterer Autofahrer laufen regelmäßig auf. „Freie Fahrt für freie Bürger“ gilt den Deutschen viel, nicht nur gegen ein Tempolimit auf der Autobahn, sondern auch gegen eine Altersgrenze für Autofahrer. Erst 2016 lehnte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Pflichttests für ältere Autofahrer ab. Er sieht darin eine Bevormundung von Senioren. Eignungstests über die persönliche Fahrtüchtigkeit könnten nur auf freiwilliger Grundlage erfolgen.

Interessenkonflikte rund um Fahrverbot und Führerscheinentzug von Senioren

Was jeder selbst im Grunde weiß, bestätigt auch die Polizei: Personen im höheren Alter sind überdurchschnittlich häufig in Verkehrsunfälle verwickelt, sei es als Verursacher oder als Opfer. Als typische Fahrvergehen von Autofahrern im Seniorenalter nennt die Polizei missachtete Vorfahrt, falsches Abbiegen oder Lenkfehler. Der ADAC wiederum gibt sich nachsichtig, geht es ihm doch um seine Mitgliederzahlen. Er setzt auf Eigenverantwortung. Ebenso sprechen sich Autohersteller gegen einschränkende Altersbegrenzungen aus, befinden sich doch besonders viele Neuwagenkäufer im höheren Alter und gönnen sich dabei auch gern etwas.

Mobilität im Alter

Für Menschen im Seniorenalter bedeutet das eigene Auto Freiheit und Komfort. Niemand mag sich in öffentlichen Verkehrsmitteln drängeln und um Sitzplätze kämpfen, erst recht nicht im höheren Alter. Der Bewegungsradius von Senioren aus Orten mit schlechter Verkehrsanbindung würde erheblich verringert. Einkäufe, Theater- und Kinovorstellungen oder Besuche von Freunden wären ohne Auto umständlich, zeitraubend und unbequem. Die Teilhabe an zahlreichen Unternehmungen käme zum Erliegen. Es ist daher älteren Menschen nicht zu verdenken, wenn sie unbedingt ihren Führerschein behalten möchten.

Autofahren im Alter - Zeitgemäßes Wissen: Verkehrsrecht - Technik - Umgang mit Einschränkungen
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Widersprüche im Umgang mit Älteren

Im Umgang mit Senioren herrschen Widersprüche: So wird es als normal angesehen, wenn jemand im Alter von 70 Jahren Präsident einer Weltmacht wird. Auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters scheint allgemein zumutbar. Autofahren dagegen soll nun in diesen Altersstufen ein grundsätzliches Problem sein?

Konsequenz: Gesetzliche Überprüfung der Fahrtüchtigkeit von Senioren?

Die Erfahrung zeigt, dass Appelle an die Eigenverantwortung bei vielen Älteren vergeblich sind. Der Besitz des Führerscheins wird verteidigt bis zum Letzten. Senioren, die ihren Führerschein freiwillig abgeben, sind in der Minderheit. Dieser Schritt ist so endgültig. Einige schaffen es immerhin, ihren Führerschein zu Hause beiseitezulegen und sich freiwillig nicht mehr als Fahrer ins Auto zu setzen. Sie behalten die Option, zu können, wenn sie denn wollten, auch wenn sie davon keinen Gebrauch mehr machen. Die Sache ist also auch psychologisch bedeutsam.

Vergessen werden darf nicht, dass Senioren zunächst anhand der Zahl ihrer Lebensjahre definiert werden. So, wie manche Menschen schon ab einem Alter von 50 Jahren dringend regelmäßig ihre Fahrtauglichkeit überprüfen lassen sollten, gibt es jene Senioren, die noch mit weit über 70 körperlich und geistig sehr fit sind.

Um allen gerecht zu werden, wäre ein entsprechendes Gesetz wünschenswert. Was bereits für jeden Lkw- und Busfahrer normal ist, ist auch einem Pkw-Fahrer zumutbar: Ab einem bestimmten Alter muss er in Verbindung mit einem Gesundheits-Check seine Fahrerlaubnis erneuern beziehungsweise verlängern lassen. Eine Diskriminierung von Senioren wäre eine derartige Gesetzeseinführung keineswegs, sondern im Interesse aller – einschließlich der Senioren.

Kurz gesagt

Im Seniorenalter steigt die Wahrscheinlichkeit, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr als aktiver Autofahrer geeignet zu sein. Weil viele davon betroffene Senioren ihre Einschränkungen verdrängen oder bagatellisieren, wäre eine gesetzliche Regelung wünschenswert. In vielen Ländern ist dies bereits der Fall. Ab einem bestimmten Alter müssen sich Führerscheininhaber einer medizinischen Eignungsuntersuchung unterziehen, von der die weitere Fahrerlaubnis abhängt. Eine derartige Gesetzeseinführung würde außerdem Familienstreit vermeiden helfen, wenn Angehörige oft vergeblich versuchen, uneinsichtige ältere Familienmitglieder vom Autofahren abzuhalten.

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