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NICHTLUSTIG: Cartoonist Joscha Sauer im Interview

von Thorben Grünewälder
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NICHTLUSTIG: Cartoonist Joscha Sauer im Interview
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Joscha Sauer ist Cartoonist, Trickfilmproduzent und Autor. In seinen Zeichnungen und Videos erweckt er naive Yetis, suizidgefährdete Lemminge und den Tod persönlich zum Leben. Im Interview erzählt er, wie sein Humor entstanden ist, welche Projekte er als nächstes plant und wieso manche Figuren in seinem Universum niemals einen Platz finden werden.

NICHTLUSTIG: Cartoonist Joscha Sauer im Interview

Hallo Joscha, erst einmal vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für das Interview nimmst! Ich hatte schon die Befürchtung, dass meine Anfrage an Dich vielleicht untergeht – Du erhältst ja sicher täglich hunderte Nachrichten.

Ach, so ist das eigentlich gar nicht. Man kriegt natürlich viele Nachrichten, aber Mails erhalte ich doch eher von Leuten, mit denen ich gerade zusammenarbeite. Für Fans gibt es ja andere Möglichkeiten, sich bei mir zu melden oder sich auf Facebook mit Kommentaren zu verewigen.

Daher ist die Kommunikation mit den Fans per Mail doch sehr zurückgegangen. Ich finde das auch sehr angenehm, denn wenn ich nun E-Mails bekomme, geht es auch wirklich um konkrete Anfragen und für kleinere Kommentare oder Nachrichten gibt es eben Facebook & Co.

NICHTLUSTIG: Cartoonist Joscha Sauer im Interview

Ich bin selber seit 2009 ein großer Fan von Dir. Damals habe ich mir einen Deiner „erhängten“ Lemminge gekauft. Der baumelt noch immer an meinem Fenster…

Ah, das muss eine frühe Version aus Hartgummi gewesen sein. Die waren so schwer, die hätten auch gut als Knüppel getaugt. (lacht) Später gab es noch eine Version, die innen hohl war. Der sah dann zwar schöner aus, hat sich aber leider nicht so wertig angefühlt.

Deine Zeichnungen sind ja sehr skurril und heben sich damit vom Rest ab, den man so in der Cartoon-Szene findet. Du hast selbstmordverliebte Lemminge, Yetis, die mit der Zunge an Eisbergen festkleben und den Pudel des Todes. Kannst Du sagen, wieso viele Deiner Figuren einen so morbiden Charme haben?

Ich finde es immer schwer zu erklären, wie der eigene Humor entstanden ist. Aber wenn ich mal versuchen soll etwas Küchenpsychologie zu betreiben: Ich komme aus einem politisch sehr korrekten Elternhaus. Meine Eltern sind beide Sozialarbeiter gewesen und ich bin mit sehr hohen Ansprüchen an Moral aufgewachsen. Hinter diesen Werten stehe ich auch heute noch, aber ich glaube, dass man trotzdem irgendwann so einen morbiden Humor entwickelt, der an Tabus kratzt.

Also ist Dein Humor keine „Rebellion gegen das Elternhaus“, sondern nimmt das ganze eher so ein bisschen auf die Schippe?

Ja, ich habe mir darüber bisher nie so bewusst Gedanken gemacht. Ich finde schwarzen Humor einfach schön – auch wenn ich Zynismus als Weltanschauung fürchterlich finde. So sind dann die ganzen Figuren entstanden, die Selbstmord begehen oder eben der Tod, der mit einem rosa Pudel zusammenlebt. Ich mag diese Seltsamkeiten.

Weißt Du eigentlich, wie viele Cartoons Du bisher produziert hast?

Ich weiß es nicht genau. Es müssen so zwischen 1.500 und 2.000 Cartoons sein. Das ist schwierig zu beantworten, da ich einige Cartoons für die Bücher noch einmal neu gezeichnet habe. Es existieren also verschiedene Varianten einzelner Cartoons, was die genaue Bestimmung der Anzahl schwierig macht.

Viele kreative Menschen finden ihre Zeichnungen oder Texte aus der Schulzeit oder Kindheit heute peinlich. Geht es Dir bei manchen Zeichnungen oder Filmen ebenfalls so?

Ja, klar! (lacht) Doch wenn jemand dieses Gefühl nicht kennt, bedeutet es ja nur, dass er sich nicht weiterentwickelt hat. Echte Scham empfinde ich da nicht mehr. Mittlerweile habe ich eher gelernt, die Vergangenheit und die vergangenen Werke zu akzeptieren. Sie sind Schritte auf meinem Weg und sie tragen dazu bei, dass meine Entwicklung im Idealfall auch nie aufhören wird.

Natürlich gucke ich mir ältere Sachen an und denke „Joa – würde ich heute anders machen. Oder vielleicht auch gar nicht“. Ich habe zum Beispiel vor drei Jahren eine Trickfilmfolge produziert, die ich mir heute sehr ungern anschaue. Das Timing ist mir zu lahm und die Spannung wird nicht gehalten. Aber auch diese Erfahrungen sind nötig, um weiterzukommen.

In den letzten zwei Jahren beschäftige ich mich ganz intensiv nur noch mit Trickfilmen und das ist ja ein ganz anderes Erzählen. Seitdem ist mir noch einmal bewusst geworden, wie eingeschränkt man teilweise vorher über Geschichten nachgedacht hat. Über die Produktion der Trickfilme lerne ich eine Menge über Dramaturgie dazu und kann in den Filmen Dinge ausprobieren, die ich in den Cartoons nicht machen kann.

Natürlich waren auch die Cartoons ein wichtiger Schritt. Durch sie habe ich gelernt, eine Geschichte auf ein Bild einzuschrumpfen. Diese Herangehensweise hilft mir jetzt dabei, eine Grundidee auf eine komplette Geschichte auszudehnen. Das sind die zwei Extreme, mit denen ich arbeite.

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Das ist auch gerade das, was ich sehr bewundernswert finde – dieses minimalistische. Nur mit Hilfe eines einzigen Bildes einen ganzen Witz oder eine lustige Situation zu erzählen.

Das ist eh interessant. Denn irgendwann habe ich gemerkt, wie ich mich darauf trainiert habe, nur in einem Bild zu denken. So fiel es mir später erst schwer, längere Geschichten zu erzählen, die sich nicht angefühlt haben wie eine bloße Aneinanderreihung von einzelnen Gags.

Du hast gesagt, seit zwei Jahren machst Du Filme ganz intensiv…

Genau – ich bin da länger schon dran, denn eigentlich ist die Filmidee älter als die Cartoons. Schon bevor ich gezeichnet habe, habe ich Regie bei Musikvideos geführt und wollte immer in die Richtung Film gehen.

Im Jahr 2000 hatte ich aber noch nicht die Möglichkeiten, einen eigenen Film zu produzieren. Also habe ich mich erst einmal auf die Website und das Zeichnen von Cartoons konzentriert. Zunächst sollte das Ganze nur eine Überbrückung sein. Die Idee, Trickfilme zu produzieren, war aber immer präsent und hat mich auch nicht losgelassen.

Seit etwa zwei Jahren bilden die Filme nun tatsächlich den Hauptteil meiner Arbeit. Ich habe nun ein kleines, feines Team und produziere aktuell die NICHTLUSTIG-Trickfilmserie.

Die Arbeit an den Trickfilmen ist Dir also sehr wichtig. Könntest Du Dir vorstellen, einen Kinofilm zu produzieren?

Klar, das Problem ist aber immer das Budget. Ich würde liebend gerne einen Kinofilm machen – allerdings eher in Richtung Realfilm. Ich merke einfach, dass ich mit NICHTLUSTIG jetzt so lange gearbeitet habe, dass ich gerne mal etwas Neues probieren würde. Wenn jedoch jemand sagen würde: „Hier ist die große Schubkarre voll Geld“, dann würde ich NICHTLUSTIG natürlich auch sehr gerne als Kinofilm produzieren.

Ich finde es schwierig, eine Balance zu finden. Auf der einen Seite möchte ich kreativ nicht einschlafen und auf anderen Seite muss ich schauen, wo Geld für das nächste Projekt herkommt. Das ist auch heute, wo ich sehr erfolgreich bin, noch immer das große Problem.

Daher kam dann die Idee zum Crowdfunding, die ich letztes Jahr umgesetzt habe. Das war die einzige Möglichkeit, an Geld für die Trickfilmserie zu kommen. Und selbst auf diesem Wege ist für den Aufwand, den wir für die Serie betreiben, nur wenig Geld zusammengekommen.

Es ist also kein entspanntes Arbeiten. Ich habe auch oft das Gefühl, dass ich den Leuten, die mit mir an dem Projekt arbeiten, zu wenig bezahlen kann. In meinen Augen sind sie unterbezahlt. Es gehört also ein großer Idealismus dazu, an diesen Projekten zu arbeiten.

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Es gibt ja diverse Crossover zwischen Serien wie den Simpsons oder Family Guy. Könntest Du Dir etwas Ähnliches zwischen Dir und Ralph Ruthe vorstellen?

Crossover-Geschichten mag ich aus verschiedenen Gründen nicht. Lustig ist aber, dass Ralph, der ein sehr guter Freund von mir ist, im Jahr 2001 mit genau dieser Idee auf mich zugekommen ist.  Schon damals war ich nicht begeistert von der Idee, aber so haben wir uns kennengelernt und so ist diese Freundschaft entstanden.
Ich finde Crossover schwierig, da ich ein Fan von geschlossenen Welten bin. Ich mag es, ein eigenes Universum oder einen Mikrokosmos aufzubauen, in dem es bestimmte Regeln gibt und einen bestimmten Look.

Auch meine Figuren sehen sich ja in gewisser Weise etwas ähnlich – ich denke da zum Beispiel an die Augen. Deshalb finde ich, dass Crossover eher stören. Das ist höchstens für Insider interessant, die beide Zeichner und deren Cartoons kennen. Natürlich haben Ralph und ich schon zusammen gezeichnet. Es ist aber nicht geplant, seine Figuren in meine Welt zu holen oder umgekehrt.

Viele Cartoonisten spielen mit dem Klischee, dass Zeichnen eher brotlose Kunst ist.

Das würde ich so nicht unterschreiben. Es lässt sich in allen kreativen Berufen viel Geld verdienen. Selbst als Toter. Nehmen wir Charles Schulz, den Zeichner der Peanuts. Der verdient jedes Jahr noch viele Millionen Euro mit seinen Werken, obwohl er längst unter der Erde liegt. Es gibt also zahlreiche Gegenbeispiele. Das ist bei Musikern genauso.

Das Gute – aber auch Schlechte – an Cartoons ist, das sich alles in einem relativ kleinen Umfeld abspielt. In der Musikbranche hast du tausende Bands, die versuchen Erfolg zu haben. Bei Cartoonisten ist das eine sehr kleine Runde. Man kennt sich und es gibt wenig Futterneid. Es herrscht eine sehr angenehme, unterstützende Atmosphäre.

Ich hatte das große Glück, dass ich relativ schnell Geld mit dem Zeichnen verdienen konnte. Wobei noch immer die richtige Sicherheit fehlt. Denn wer weiß schon, was nächstes Jahr sein wird. Es ist immer wieder ein Kampf, das nächste Projekt umzusetzen.

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Ist es durch soziale Medien wie Facebook & Co. einfacher geworden, Geld zu verdienen? Die User sind ja heute an kostenlosen Content gewöhnt und verlassen sich darauf, regelmäßig Zeichnungen von Dir im Web sehen zu können, ohne dafür zu bezahlen.

Es ist beides. Da ich mit dem Internet aufgewachsen bin, fällt es mir sicher leichter, die Menschen zu erreichen. Ich bin nicht darauf angewiesen, dass Unternehmen oder Verlage auf mich aufmerksam werden und sagen: „Wir machen Dich jetzt groß“. Die Verantwortung liegt wieder mehr bei einem selbst.

Aber natürlich hat sich die Idee vom kostenlosen Content bei den Leuten eingebrannt. Wer früher einen Comic lesen wollte, musste in die Buchhandlung gehen und ein Buch kaufen. Heute kann ich online gehen und kriege den ganzen Spaß umsonst. Es existiert kein klares Vermarktungsmodell mehr. Für kreative Menschen mit einem Faible für Selbstvermarktung ist das eine große Chance, aus eingefahrenen Strukturen auszubrechen. Für Leute, die mit Marketing nichts am Hut haben, ist es dagegen sicher schwieriger geworden.

Wie bei allen neuen Technologien kann man nicht sagen, ob es generell gut oder schlecht ist. Der Weg, den ich gegangen bin, würde heute so nicht mehr funktionieren. Wenn mich also jemand um Rat fragt, muss ich leider sagen, dass ich keine Ahnung habe. (lacht) Wichtig ist es, neue Wege zu finden, die noch nicht so ausgetrampelt sind. Oft spielt der Zufall eine Rolle.

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Von Harrison Ford ist bekannt, dass es ihn sehr nervt, wenn die Zuschauer ihn immer nur als den guten Helden sehen wollen. Du unterhältst mit Deinen Cartoons auf humorvolle Weise. Könntest Du Dir vorstellen, etwas ganz anderes, ernsteres zu machen?

Auf jeden Fall. Ich würde, wie gesagt, sehr gerne in die Richtung Realfilm gehen. Spannend finde ich die Frage, ob die jetzigen Fans das dann auch akzeptieren. Teilweise ist es ja schon schwer, wenn ein anderes Medium als gewohnt verwendet. Ich habe den Wunsch, mich stetig weiterzuentwickeln und nicht mein Leben lang einfach nur Cartoons zu zeichnen.

Gerade wenn man bereits populäre Sachen gemacht hat, ist der Gegenwind bei Veränderungen sehr stark. Das sollte einen aber nicht davon abbringen, Neues auszuprobieren. Sonst läuft man irgendwann Gefahr, sich selbst zu wiederholen. Und negative Stimmen gibt es eh immer.

Du hast unter anderem mit Donald Arthur, der den Chefkoch in Southpark gesprochen hat, zusammengearbeitet. Fallen Dir spontan Persönlichkeiten ein, mit denen Du unbedingt ein Projekt umsetzen willst?

Früher hätte ich da sicherlich eher eine Antwort drauf gehabt. Je mehr ich aber mit bekannten Personen zusammenarbeite, umso weniger habe ich den Wunsch, das weiter auszubauen. (lacht)

Es ist projektabhängig, ob das gerade passt. Ich bin da echt positiv wie negativ überrascht worden. Personen, die man besonders liebt oder verehrt, müssen nicht im Umkehrschluss zugleich tolle Persönlichkeiten sein. Andersrum verhält es sich genauso. Ich bin immer dann positiv überrascht worden, wenn ich unvoreingenommen mit jemandem zusammenarbeiten konnte.

Es gibt sicher Schauspieler die ich mag oder Kameramänner und Animatoren: Ob man dann zusammenfindet, liegt daran, wie man charakterlich zusammenpasst. Das ist ein bisschen wie Dating. Es kann sein, dass Du denkst: „Das passt ganz fantastisch“, um dann festzustellen, dass man ganz anders kommuniziert und eine Zusammenarbeit sehr, sehr stressig werden würde. Ich arbeite gerne mit Leuten, die begeisterungsfähig sind, mir vertrauen und kommunikativ sind. Das ist eine gute Grundlage.

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Arbeitest Du nur mit professionellen Sprechern oder auch mit Freunden?

Teils, teils – es muss einfach passen. Einiges mache ich selbst, einiges mein Co-Autor Heiko. Ansonsten arbeite ich mit Leuten, die ich persönlich kenne und schätze. Das sind Autoren mit lustigen Stimmen und einem guten Timing oder eben professionelle Sprecher, wie der leider verstorbene Donald Arthur oder mit Tommi Pieper, der früheren Stimme von Alf.

Ab und an, wenn wir die nötige Kohle haben, holen wir auch einen Gaststar dazu. Ralf Richter spricht zum Beispiel den Pudel des Todes oder Helmut Kraus, der Nachbar aus Löwenzahn, spricht einen Yeti. Natürlich klappt das nicht immer. Bastian Pastewka hatte zum Beispiel Lust auf ein Projekt mit uns, aber damals leider keine Zeit. Und Heinz Strunck war für uns zu teuer. (lacht)

Eine Frage zu den Figuren: In Deinen Cartoons tauchen Pinguine, Aliens mit einem Faible für die Farbe Rosa und ein Verrückter, der hinter einer Wand wohnt auf. Hexen aber zum Beispiel nie. Wie wählst Du Deine Figuren aus?

Lustig, dass Du ausgerechnet nach Hexen fragst. (lacht) Die Idee mit den Hexen hatte Heiko, mein Co-Autor, den ich vor drei Jahren dazu geholt habe. Er hat irgendwann angefangen, mir regelmäßig Cartoons mit Hexen zu senden. Ich habe dann gemerkt, dass einige sehr lustige Ideen dabei waren. Spontan fällt mir eine moderne Großstadt ein, in der im Zentrum ein Lebkuchenhaus stand.

Es fühlte sich für mich trotzdem irgendwie falsch an. Das hat ihn aber nur noch mehr angestachelt, mir Cartoons mit Hexen zu schicken. (lacht) Ob eine Figur in meinem Universum Platz findet, ist wirklich eine reine Bauchentscheidung. Hexen haben für meinen Geschmack eher mit Mittelalter oder den Märchen der Gebrüder Grimm zu tun. Da ich versuche, Parodien zu vermeiden, habe ich mich bisher gegen Hexen entschieden.

Hast Du eigentlich je in der Realität einen Lemming gesehen?

(Überlegt) Vielleicht habe ich mal in einem Zoo einen gesehen. In der freien Wildbahn eher nicht. (lacht)

Und wieso Lemminge?

Die Lemminge waren mit die ersten Figuren, die ich gezeichnet habe. Begonnen hat alles mit dem Cartoon „moderne Lemminge“. Darin sitzen einige Lemminge in der Badewanne und einer schmeißt mit Elan einen Fön hinein. Damals sahen die Viecher auch noch ganz anders aus. Sie waren eher schlaksig. Heute sind die ja total knubbelig und klein und der Zahn ist immer weiter gewachsen. Die Idee mit dem Fön gefiel mir, weil sie so simpel war.

Diese Idee, sich kreativ umzubringen, hat mir gefallen. Jahre später gab es ein Buch mit Häschen, die das auf verschiedene Weise umgesetzt haben. Das hieß „Suicide Bunnys“. Da dachte ich: „Verdammt, jetzt wurde die Idee schon weggeschnappt“. Doch dann haben sich meine Lemminge weiterentwickelt. Aus den passiven Viechern wurden echte Figuren, die plötzlich anfingen zu reden. Auch die Selbstmordideen wurden immer origineller.

Aber so ähnlich war das bei fast allen meiner Figuren. Meistens fängt es mit einer Zeichnung an. Daraus entwickelt sich dann erst später eine ganze Serie – ohne, dass ich das von vornherein geplant hätte.

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Wahrscheinlich würdest Du die Lemminge auch irgendwann vermissen, wenn sie nicht mehr auftauchen würden oder?

Ja, mittlerweile schon. Sie sind fester Teil meines Universums. In der Trickfilmserie taucht sogar eine ganze Lemming-Familie auf. Sie erlebt ganz typische Familiengeschichten, versucht aber natürlich am Ende trotzdem kreativ Selbstmord zu begehen. (lacht) Da werden in Zukunft noch einige schöne Geschichten kommen. Ich freue mich schon sehr darauf!

Welches WG-Trauma musst Du eigentlich mit Herrn Riebmann verarbeiten?

(lacht) Gott sei Dank gar keins. Die Idee ist damals im Jahr 2000 entstanden, als ein Freund von mir in einer viel zu kleinen Zivildienstwohnung gelebt hat. Er hatte Geldprobleme und überlegte, diese viel zu kleine Wohnung noch unterzuvermieten. Wir haben dann einen Abend lang rumgealbert und nachgedacht, wo er noch Leute wohnen lassen könnte. Dass einer hinter der Wand wohnen soll, haben wir aber glaube ich so nie gesagt.

Die Idee jedoch ist hängengeblieben, dass jemand noch an deiner Wohnung dran wohnt und ein unglaublich penetranter Typ ist. Einige Tage später entstand der erste Cartoon mit Herrn Riebmann.

Ich mochte das Thema, weil es so völlig anders und surreal war. Ein barfüßiger Mann, der hinter einer Wand lebt… Das ist bis heute die Figur, die am meisten polarisiert. Es gibt viele Menschen, die damit gar nichts anfangen können. Das mag ich sehr an dieser Figur.

Herr Riebmann ist also ein gutes Beispiel für eine Figur, die aus einer konkreten Situation heraus entwickelt wurde. Sitzt Du andererseits auch manchmal „stumpf“ am Schreibtisch und denkst so lange nach, bis Dir eine Idee kommt?

Ja, absolut. Genau das musste ich jahrelang machen und fand es immer ganz fürchterlich. Das gehörte halt zum Job. Damals hatte ich feste Aufträge für Zeitschriften übernommen und saß teilweise nachts am Schreibtisch und musste mir bis früh morgens noch etwas einfallen lassen.

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Kannst Du unter diesem Druck besser arbeiten?

Ich glaube, das ist eine Illusion. Ich habe lange behauptet, dass ich unter Druck besser arbeiten kann und schiebe selbst heute noch Dinge gerne auf, bis sie irgendwann Druck erzeugen. Doch seit ich viel mit anderen zusammenarbeite merke ich, dass ich diesen Druck nicht brauche.

Im Gegenteil: Ich finde es sehr schön, entspannt zu arbeiten und im Zusammenspielt mit anderen Menschen Ideen zu entwickeln. Ich meine, dass es gut ist, Ideen Zeit zu geben, damit sie reifen. Auf der anderen Seite ist eine Deadline gut, um loszulassen. Sonst doktert man ewig an einer Sache herum und will es immer noch ein Stückchen besser machen. Irgendwann muss Schluss sein, sonst verbringt man damit das halbe Leben, ohne einen echten Fortschritt zu erzielen.

Hast Du Probleme mit Facebook-Trollen?

Das hält sich bei mir echt in Grenzen. Mir fällt jetzt spontan keine Szene ein, die unangenehm war. Natürlich ist es in der aktuell sehr aufgeheizten Zeit, in der Leute sich schnell in die Wolle kriegen ab und zu so, dass ich mit den Augen rolle, wenn ich bestimmte Sachen lese. Aber mir fallen keine Leute ein, die mir persönlich eins auswischen wollen.

Du arbeitest nicht von Zuhause aus, sondern in einem Atelier. Hat das Vorteile?

Ja, ich finde es angenehm die private Wohnung vom Arbeitsort zu trennen. Ich habe zwar lange Zuhause gearbeitet, fand es dann aber schwer, Arbeit und Privates zu trennen. Das ist in dem Job eh schon schwierig. Ich finde es angenehm, abends hier im Atelier die Tür zu schließen und mich auf den Heimweg zu machen.

Kennst du Schreibblockaden?

Lieber Joscha. Wir danken Dir ganz herzlich für das tolle Interview und wünschen Dir viel Erfolg bei Deinen weiteren Projekten!

Letzte Aktualisierung am 5.07.2021 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API

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